Der amerikanische Künstler Richard Tuttle stellt in der Galerie Christian Lethert neue Arbeiten auf Papier aus, die subtil und lebendig zugleich sind. Seine poetischen Verbindungen von Farbe und Worten werden teils hängend in Künstlerrahmen aus hellblauer Seide und Blattgold präsentiert, teils liegend auf einem acht Meter langen Tisch.
Die Ausstellung mit dem Titel »Process of Remembering« lässt sich am besten mit Tuttles eigenen Worten beschreiben: »Man kann sagen, dass ich ein visueller Denker bin. Die beiden Werkgruppen in dieser Ausstellung sind eigentlich eine einzelne. Wenn ich ein Dichter wäre, würde ich sagen, dass ich versucht habe, ein Gesamtwerk zu definieren oder eine Gruppe aus den beiden zu machen, eine horizontal, ungerahmt, und eine vertikal, gerahmt. Der Werkkomplex begann mit den sehr kleinen Arbeiten, die mit »Process« betitelt sind. Sie wurden zusehends größer und komplexer, bis zum letzten Werk, das aus zwei zusammengefügten Blättern besteht, in dessen Mitte ein braun gestrichener Holzstab liegt. Dieser Stab fungiert als Rahmen; bei diesen Ausmaßen und zum Zweck der Vollendung des Prozesses besteht die Notwendigkeit eines Rahmens.
»Remembering« macht uns einen Prozess bewusst, der uns normalerweise verborgen bleibt, weil er so schnell abläuft. Seine Struktur(en) ist (sind) sehr schön und kann (können), wenn sie einmal enthüllt ist (sind), für andere aus allen möglichen Gründen nützlich sein. Es sind zusammengesetzte Strukturen, die oft in ruhigen Momenten entstehen, bevor sich eine Erinnerung bildet. Sie können uns von der Erinnerung befreien oder uns abhängig machen, je nachdem, weil wir eine Wahl haben, die wir vielleicht vorher nicht hatten, wenn wir das sehen, was wir sehen, und wenn wir sehen, dass wir dem Sehen entkommen können, wenn wir wollen? Das alles geschieht während des Erinnerns, etwas, von dem ich nicht wusste, dass es möglich ist, und gibt diesen Arbeiten ihren Sinn, um sie mit anderen zu teilen und mit ihnen zu kommunizieren. Das ist die Art von Beschäftigung, die mir Freude macht und die ich für wertvoll halte.« (Richard Tuttle, Oktober 2023)
Um den spezifischen Bedingungen der Werke gerecht zu werden, wurde die Ausstellungsarchitektur und -präsentation in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entwickelt. Sie bietet verschiedene Möglichkeiten der Begegnung und des Zugangs zu den Werken. Die Betrachtenden können vor den gerahmten Werken stehen oder sich über den Tisch beugen, der als ›Bildträger‹ fungiert und gleichzeitig den Raum strukturiert und die Bewegung durch ihn lenkt. Der Prozess des Erinnerns ist komplex und selten linear, weshalb die Präsentation der Werkgruppen in entgegengesetzte Richtungen verläuft. Dem zu Grunde liegt die Spirale als Symbol für das Ineinandergreifen von Expansion und Kontraktion, Anfang und Ende, Raum und Zeit, denn letztlich ist alles undurchdringlich miteinander verwoben. Tuttle hat für die Ausstellung »Process of Remembering« Werke geschaffen, die im gegenwärtigen Moment existieren und die Zerbrechlichkeit und Schönheit des Erinnerns reflektieren.