Nelleke Beltjens FRAGMENTS OF THE PARTS
13.03.2009 - 17.04.2009Wir freuen uns, erstmals eine Einzelausstellung mit Zeichnungen von Nelleke Beltjens (geb. 1974) in unseren Galerieräumen anzukündigen. Es ist dies zugleich die erste Solopräsentation der Niederländerin in Deutschland. Ihre Skulpturen und Zeichnungen finden seit Jahren international Beachtung, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo sie mit Unterbrechungen seit 1998 lebt. Nelleke Beltjens unterrichtet zurzeit Bildhauerei an der Montana State University in Bozeman, USA.
Der Ausstellungstitel FRAGMENTS OF THE PARTS verweist auf eine grundlegende Eigenschaft der arbeits- und zeitaufwändigen Tintenstift-Zeichnungen: Es gibt keine geschlossenen Umrisse, alle ›Linien‹ werden in kleinste Bestandteile zerlegt. Im zeichnerischen Werk von Nelleke Beltjens bestehen seit 2006 lineare Strukturen nur noch aus einer Vielzahl kurzer, quer zum Richtungsverlauf gesetzter Strichmarkierungen. Es handelt sich eher um rhythmisch gesetzte Interpunktionen als um lineare Einheiten. Das Zusammenspiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ist ein Leitmotiv dieser Arbeiten, deren Dialektik in Titeln wie »Incomplete Completion«, »(Im)possibilities« oder »Fragments of the Parts« zum Ausdruck kommt. Unsichtbarkeit meint hier nicht nur die Leerstellen zwischen den Strichen oder die freien Flächen des Papiers, sondern ebenso die Tatsache, dass die gesetzten Striche nur zu je etwa 50% zu sehen sind. Beltjens arbeitet stets mit Papierrechtecken als Führung, auf denen jeweils die andere Hälfte der Striche stehenbleibt. In einigen ihrer Arbeiten hat sie diese Hilfsmittel mit ihren dicht bedeckten Rändern wieder in die Zeichenblätter integriert und so den Arbeitsprozess anschaulich gemacht.
Für die Wahrnehmung von Beltjens’ Zeichnungen ergibt sich die irritierende Tatsache, dass sie für den Blick niemals vollständig zu erfassen und noch weniger auf den Begriff zu bringen sind (womit einhergeht, dass sie sich kaum angemessen fotografieren lassen). Aus einigem Abstand zeigen sie eine federleichte, wolkige Anmutung, beim Näherkommen jedoch zerfallen sie in ein Übermaß an Einzelinformationen, das ein ordnendes und bestimmendes Sehen überfordert. Das Sehen als einen komplexen Prozess der Orientierung in einer überkomplexen Wirklichkeit bewusst zu machen, gehört zu den Intentionen der Künstlerin.
Die Titelworte »FRAGMENTS« und »PARTS« lassen auf eine imaginäre Ganzheit schließen. Man könnte auf den Komponisten Pierre Boulez verweisen, der einmal die rhetorische Frage gestellt hat, ob das reale Werk nicht gewissermaßen ein mehr oder weniger willkürliches Fragment eines großen imaginären, virtuellen Werks sei, von dem man weder Anfang noch Ende kennen wollte. Gleiches ließe sich von den Zeichnungen von Nelleke Beltjens sagen, die stets beim Hören von Musik entstehen und etwas von dem Ungreifbaren und Unbestimmbaren musikalischer Phänomene in sich tragen.
Peter Lodermeyer