Nelleke Beltjens They don't know either

04.06.2011 - 30.07.2011

Mit They don’t know either zeigt die Galerie Christian Lethert die zweite Einzelausstellung von Nelleke Beltjens. Seit ihrer Ausstellung Fragments of the Parts (2009) hat die Künstlerin ihre ungewöhnliche und eigenwillige Auffassung von Zeichnung konsequent weiterentwickelt.

Zu den Grundprinzipien ihrer Arbeit gehört die Fragmentierung der Linie, die durch die Auflösung in zahlreiche kurze, senkrecht zur Linienerstreckung stehende Striche als zeichnerisches Grundelement infrage gestellt und in eine rhythmische Struktur transformiert wird. Aus der Übereinanderlagerung, dem Mit- und Gegeneinander unzähliger ›Linien‹ wiederum ergeben sich begrifflich schwer zu fassende Strukturen voller Bewegung, die durch abrupte Richtungswechsel und unterschiedliche Intensität- und Dichtegrade gekennzeichnet sind, wobei den positiven Formen immer die negativen Areale des weißen Zeichenblattes gleichwertig gegenüberstehen. Wesentlich ist für die Künstlerin, dass ihre Arbeiten aus keiner Perspektive vollständig erfassbar sind: Aus einiger Entfernung werden die Zeichnungen eher als vage aufgrund ihrer atmosphärischen Stimmung erfasst, beim Näherkommen jedoch zerfallen sie in unzählige, nicht mehr aufeinander beziehbare Einzelelemente. Bei den neuen Arbeiten aus der Reihe »CLUSTER (color)« kommt zu dem Übermaß an gezeichneter Information noch ein hochkompliziertes System von Schnitten ins Papier hinzu, welche nur aus der Nahdistanz überhaupt wahrnehmbar sind. Sie entstehen dadurch, dass die Künstlerin einzelne Papiersegmente aus dem Zeichenblatt ausschneidet, als Führung für das Zeichnen von Strichen benutzt und danach wieder exakt an ihren Platz zurücksetzt. Dieser Arbeitsprozess, der sich viele hunderte Male wiederholt, erfordert höchste Konzentration und Präzision.
Ein weiteres Merkmal der neuesten Zeichnungen von Nelleke Beltjens ist die Verwendung von Tintenstiften in verschiedenen Farben. Waren die früheren Zeichnungen meist einfarbig schwarz, blau oder grün gehalten, so gibt es neuerdings Kombinationen von sechs und mehr Farben, darunter auch erstmals warmtonige Farbwerte wie Rot, Orange oder dunkles Braun. Durch die Polyphonie der Farbwirkungen werden die gezeichneten Formen noch ungreifbarer, lösen sich zum Teil in einem farbigen ›Funkenflug‹ auf und erzeugen emotionale Wirkungen, die am ehesten mit denen von Musik vergleichbar sind. In der Tat sind die Zeichnungen von Nelleke Beltjens eng mit Musik verbunden. Die jüngsten Arbeiten entstanden beim Hören der Sinfonien von Beethoven, Brahms, Bruckner oder Mahler (worauf der Titel des äußerst dynamischen zweiteiligen Großformats »Mahler Double #2« verweist). Die Musik fließt als Stimmung und rhythmische Qualität in den Zeichenprozess mit ein, jedoch haben die Arbeiten nichts mit der ›Illustration‹ musikalischer Phänomene gemein.
Der Ausstellungstitel They don’t know either ist offen und rätselhaft – dennoch erschließt sich seine Tendenz aus dem Anspruch der Künstlerin, mit der besonderen Struktur ihrer Zeichnungen auf die Komplexität des Daseins und aller Lebensverhältnisse zu verweisen. Das Ungreifbare und Unbestimmbare unserer Wirklichkeit und unserer Existenz ist die Grunderfahrung, aus der heraus die Zeichnungen als eine Art abstrakter Niederschrift entstehen. Dass auch die Sinn-Experten aus Politik und Ökonomie, aus Philosophie, Religion und Naturwissenschaft keine definitiven Antworten haben, begründet für die Künstlerin die Notwendigkeit der Kunst, die mit eigenen Mitteln versucht, anschaulich zu machen, was sich mit Begriffen nicht einfangen lässt.

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