Jorinde Voigt Konglomerat

31.08.2007 - 20.10.2007

Die Ordnungssysteme der in Berlin lebenden Künstlerin Jorinde Voigt (geboren 1977), erinnern im Grad ihrer Abstraktion, sowie in ihrer Ruhe und Konzentration, an diagrammatischen Zeichnungen, Tabellen und diagonale Linien aus der Minimal Art, etwa Arbeiten Hanne Darbovens. Und dennoch
gibt es hier einen maßgeblichen Unterschied, der fast einen historisch paradigmatischen Charakter hat.

Zwar funktionieren sowohl Voigts, als auch Darbovens Systeme wie numerische Konzepte, die als Progressionen oder Reduktionen, wie musikalische Themen mit Variationen und Permutationen spielen. Beide Systeme verwenden serielle Darstellungsmethoden und drücken somit die Erkenntnis aus, dass ihr numerisches Konzept ad infinitum ausgedehnt werden kann. Dem Chaos des Möglichen begegnen beide mit einer Ordnung, die für sie zur täglichen, streng reglementierten Routine wird.

Und dennoch: Die Künstler der Minimal Art der 60er bis 80er Jahre, wie On Kawara und Darboven, arbeiteten gegen den ›Verlust‹ an, indem sie die Zeit rekonstruierten. Bei On Kawara ging es um Leben und Tod, oder konkreter: um sein Leben. Seine Kunst stellt vor allem dar, dass On Kawara gelebt hat, eine bescheidene faktische Aussage. Die Kraft seiner Arbeit liegt darin, dass ein jeder zukünftiger Mensch die Zeit und das Leben innerhalb seiner numerischen Systeme teilt.

Voigts Abstraktionen suchen nicht, eine Präsenz innerhalb der Zeitgeschichte zu erschreiben, sie sind keine Positionierung des Subjektes in den geschichtlichen Ablauf, nicht Ausdruck seiner Ohnmacht gegenüber diesen. Überhaupt scheint es nicht mehr um Geschichte zu gehen. Ganz im Geiste der Posthistorie konstruiert Jorinde Voigt vor unseren Augen das Nicht- Sichtbare, Kraft dessen unser Sein in die Wirklichkeit (Sichtbarkeit) gelangt. Die Idee der Unendlichkeit dient ihr vielmehr als Basis eines immer währenden Prozesses, der sich entfaltet, erweitert oder gar ins Negative implodiert.
Mathematische Reihen sind, im Gegensatz zu ihrer Verwendung in der Minimal Art, nun nicht mehr das Persistieren des Individuums innerhalb ewiger, lebensfeindlicher Ordnungssysteme, sondern die Sichtbarmachung und im gleichen Zuge die Erzeugung von unregelmäßigen, dynamischen Prozessen, innerhalb der scheinbar chaotischen Kräfte, die auf Wachstum, Zeit und Leben einwirken.

Voigts Arbeiten liegt die Überzeugung zugrunde, dass alles was ist, immer ein Prozess, nie ein Resultat, von Spannungen, Ungleichgewichten und Disseminationen ist. Es gibt kein Sein, welches sich innerhalb des Ablaufs von Geschichte manifestiert, sondern vielmehr eine von Geräuschen ewig angefüllte Stille, in die Strukturelemente entstehen und vergehen. Unsere sinnliche Wahrnehmung und deren phantasmatische Aufladung, das mentale Bild und dessen Abstraktion, sind die Bausteine dessen, was wir Wirklichkeit nennen.

Jorinde Voigt braucht keine epistemischen Ankerpunkte in den Fundamenten zeitgeschichtlicher Ewigkeit, sondern Knotenpunkte und Kraftfelder, innerhalb derer sich Schneisen ziehen lassen, Strukturdynamiken, die das Unerwartete erzeugen und eine Welt, in der das Nicht-Sichtbare und das Mögliche ein zentrales Element des Wirklichen bilden.
Adina Popescu, Berlin

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